Wahlanalysen lassen uns unter verschiedenen Aspekten Eindrücke entwickeln, die sehr nachdenklich stimmen.
Schon länger ist bekannt, dass sich die Zugewinne der Rechtsextremisten am stärksten mit dem Wahlverhalten der jungen und „mittelalten“ Männer erklären lassen – leider aber nicht ausschließlich. Was bringt diese Leute dazu, sich derart politisch zu vergaloppieren? Ja, tatsächlich scheint ein wesentlicher Aspekt die Verunsicherung hin- sichtlich ihrer Geschlechterrolle und ihrer abhanden gekommenen und „naturgegebenen“ Dominanz in der Gesellschaft zu sein. Sie beklagen auf spezielle Weise den Verlust von Vorrechten, möchten zurück in Zeiten, in denen einfach maskulin vor feminin dran war – „naturgesetzlich“! Da selbstbewusste Frauen – möglichst schon in jungen Jahren angeeignet – nicht einfach diese vorgegebenen Regeln anerkennen, sich vor allem nicht entsprechend unterwürfig verhalten gelernt haben, kommt es zum Konflikt. Dieser wird üblicherweise mental, also eher „intern“ ausgetragen.
In diesem Moment wird es nun für etliche Männer sehr schwierig, finden sie doch offenbar nicht ihre Rolle und einen Ausgleich für anderswo erlebte Zurücksetzung.
Da ist eine sich langsam ( sehr langsam ) wandelnde Gesellschaft, die zwar in der Werbung und online noch immer Geschlechter- und Rollenklischees verbreitet, aber halt doch nicht mehr so eindeutig wie „in der guten alten Zeit“.
Viele Frauen lassen sich einfach nicht mehr gängeln – jenseits der sich leider vergrößernden strenggläubigen religiösen Gemeinden nicht ausschließlich christlicher Prägung.
Hinzu kommen dann aber Erfahrungen, die nicht neu sind, aber in dieser Social- Media-angetriebenen Welt wiederum neu ins Rampenlicht gezerrt werden. Es geht um die Rolle im Erwerbsleben, die eben viel stärker als früher selbst zu definieren ist. Hierarchien wurden in Wahrheit häufig nicht (!) abgebaut, sondern einfach neu definiert und als „flach“ beschrieben. Damit verbunden ist der Schein einer weitgehenden Selbstbewertung und „freien“ Definition der Entwicklungspotentiale .
Die sogenannten Zielvereinbarungen spielen dabei eine erhebliche Rolle, denn sie suggerieren eine Selbstbestimmung, die keine Ausbeutung von außen bedeutet, sondern aus dem je Eigenen herausgefordert wird. Die vermeintlich selbstgesteckten Ziele, müssen dabei möglichst ein bisschen anspruchsvoller werden, da Still- oder Gleichstand im wirtschaftsliberalen Sinne einem Rückschritt gleichkäme.
Deshalb fordern sich die Menschen in der Arbeitswelt immer stärker selbst, erleben Grenzen, die möglichst nicht zu deutlich ausgesprochen werden. Selbstzweifel an der Bewältigungsfähigkeit gilt es dabei zu verdecken. Mit den Zielvereinbarungen wurde Fremdbewertung bekanntlich nicht abgeschafft, sondern im Grunde auf die jeweiligen Akteure selbst übertragen. Jede/r muss dabei jedoch die Gedanken des oder der Vorgesetzten erahnen oder kennen, um keine falschen oder gar negativen Erwartungen zu befeuern. Dies mag nicht in der Grundidee der Zielvereinbarung verankert sein, wirkt aber sehr häufig derart. Wenn dann auch noch eine Frau als Vorgesetzte agieren „darf“, dann kann das manchem Manne schon zusätzlich zum Problem geraten.
Außerdem wirkt leider kaum weniger als früher der soziale Vergleich im Wohn- und Lebensumfeld hinein. Das wäre aber ein weiteres Thema.
Kurz gefasst: der Druck dürfte bei vielen Menschen enorm wirken, zumal im ländlichen Umfeld halt auch alles von allen wahrgenommen werden kann. Es fehlt offenbar an konstruktiven Alternativen und positiv empfundenen Perspektiven. Zukunft positiv betrachten fällt schwer. Wenn dann auch noch „Fremde“, das heißt neu hinzugekommene Männer zeigen, dass auch sie sich leistungsbereit in die Gesellschaft einbringen wollen, dann kippt bei manchen halt Skepsis in Ablehnung, in Hass und Hetze - meist ohne wirklich Neuankömmlinge zu kennen.
Wo kann ein Mensch, der unter solchen Bedingungen lebt, seine Selbstwirksamkeit in positiven Kriterien erfahren?
Wenn in solchen Momenten die Vereinfacher, Populisten und Hetzer auftreten, die vermeintlich simple Lösungen für dieses Ungemach anbieten, kann der eine oder andere „am Gemüt erkrankte“ Mann schon unsicher werden. Wer selbst einfache Lösungen für komplexe Themenstellungen sucht, neigt dazu, die Erde im Zweifel auch für eine quadratische Scheibe zu halten, wenn ihm solche Erklärung hilft. Die Schwurbler in der Corona-Zeit gingen bekanntlich dazu über, sich eine eigene Realität zu schaffen und sich gegenseitig „alternative Fakten“ ins Gehirn zu pusten.
Hierzu gehört dann eben auch eine Rückbesinnung auf überholte Rollenmodelle, die durch Rechtsextremisten wie Höcke dann übersetzt werden in: „Lasst den Mann wieder Mann sein!“ Im Umkehrschluss bedeutet dies, sich die Natur und die Frauen zu unterwerfen.
Die Frage ist nicht, ob mit solchen dysfunktionalen Modellen der Vergangenheit eine Zukunft gefunden werden soll, sondern eher, ob genügend „echte Männer“ daran glauben. Was sich bis in die 1970-er Jahre und darüber hinaus gezogen hat, nämlich auch die rechtliche Gleichstellung einigermaßen Realität werden zu lassen, möchten diese Reaktionäre wieder rückgängig machen, auch unabhängig davon, was das Grundgesetz postuliert. Wenn die Chancengleichheit im Berufsleben als Maßstab herangezogen wird, dann dauert es beim seitherigen Tempo „nur“ noch ca. 150 Jahre, bis wir diese erreicht haben.
Was bleibt den echten Kerlen eigentlich angesichts einer solchen bedrohlichen Lage?
Trumpeter im Juni24